"Libanesische Clans" und Nachbarn
Don Corleone legte ihm die Hand auf die Schulter. „Gut“, sagte er. „Du sollst Gerechtigkeit haben. Eines Tages, und dieser Tag wird vielleicht niemals kommen, werde ich dich bitten, mir dafür einen Gefallen zu tun.“
Mario Puzo: „Der Pate“
Es ist sicher eine Binsenweisheit, dass der Umgang mit Sinti und Roma seit langer Zeit von Diskriminierung, Vorurteilen und Stereotypen begleitet, wenn nicht dominiert wird. (1) Wenn ein bekannter Grillsaucenhersteller seine „Zigeunersauce“ unlängst in „Paprikasauce ungarischer Art“ umbenennt, mag dies vielleicht Ausdruck für eine veränderte Wahrnehmung in der Rassismus- und Diskriminierungsdebatte sein, die 518 Kommentare im Bericht der „WELT“ (2020) darüber sicher in der überwältigenden Mehrzahl nicht.
Wenn derzeit über „libanesische“ Jugendliche berichtet wird, dann in der Regel in Verbindung mit dem Wort „Clan“. In den 1980er Jahren noch überwiegend assoziiert mit amerikanischen Fernsehserien wie „Der Denver Clan“ oder eher weitläufig mit dem amerikanischen Film „Der Pate“, mutiert der Begriff zu einer fixen Zuschreibung einer ganzen Bevölkerungsgruppe, die damit kollektiv in einer Weise stigmatisiert wird, wie man es im 21. Jahrhundert kaum mehr für möglich gehalten hätte.
Auch eine der seriöseren Zeitungen in Deutschland scheut sich nicht, einen Artikel mit der Einleitung: „Mhallamiye-Kurden gelten in Deutschland als schwer integrierbar. Sie leben in geschlossenen Strukturen, ihre Clans stehen häufig für organisierte Kriminalität.“ (2) (BURGER 2014) zu versehen. Folgend im Bericht wird dem Leser der offensichtlich dieser Gruppe zugehörige Ahmad vorgestellt: „Ahmad (...) hat es geschafft.” Sogleich erfährt der Leser, was er geschafft hat, denn er “sitzt in einem rustlikalen bayerischen Brauhaus mitten in Essen. Er trinkt ein paar kräftige Züge seines alkoholfreien Weißbiers.” (ebd.).
Während also einerseits versucht wird, den Diskriminierungsaspekt einer Grillsauce zu entschärfen, kocht die Sauce auf der anderen Seite unter Zuhilfenahme billiger Stereotype medial überwürzt wieder auf.
Im Petershof leben und arbeiten wir seit Jahren mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus allen möglichen Herkunftsländern, Kulturen und Religionen zusammen. Und, möglicherweise überrascht es, als katholischer Priester kann ich nachts alleine durch die "No-go-area" Marxloh laufen - und komme auch unversehrt an meinem Ziel an. Dieses Schicksal teilen übrigens nahezu alle Marxloher, die ich kenne. Natürlich gibt es Gewalt und Kriminalität - alles, was das Leben in einer Großstadt mit sich bringt und alles, was die bittere Armut hier im Schlepp hat. Auch hier sind wir dran und versuchen, mit und für die Menschen Lösungen und Perspektiven zu erarbeiten (z.B. das Petershofer Modell). Überwachungskameras an einer einzigen Straßenkreuzung in Marxloh für hohe 6-stellige Beträge sind übrigens keine solche Perspektive. Und Polizeihundertschaften, die durch Marxloh patroullieren, aber andererseits die Polizeiwache in Marxloh, die noch nicht einmal ein eigenes Auto hat, übrigens auch nicht (oder lassen Sie sich mal das dazu passende Konzept erläutern).
P. Oliver Potschien O.Praem. (Auszug aus einer Ausarbeitung zum Petershofer Modell)
[1] vgl. dazu Mladenova (2019). Dieser Titel wird auf der Internetseite des Zentralrates der Sinti und Roma mit der Überschrift: „500 Jahre Fake News“ angekündigt (https://zentralrat.sintiundroma.de/500-jahre-fake-news/).
[2] Zum Begriff der „Mhallamiye-Kurden“ vgl. weiterführend GHADBAN (2016, S. 5ff). Mit unbelegten Sätzen vom Kaliber: „Manche Mhallamis in Deutschland sollen behaupten: Wir sind inzwischen zu viele und die Polizei kann uns nicht mehr besiegen.“ (ebd., S. 8) oder der kaum auszuhaltenden und ebenso nicht belegten Aussage: „Diese ungewöhnliche Situation für die Mhallamis wird folgendermaßen von ihnen wahrgenommen: 1. Die offene Gesellschaft ist eine leichte Beute, wir müssen unsere Techniken verbessern, um mehr daraus zuholen. 2. Der Staat ist ein Gegner und ein Hindernis vor dem um uns liegenden Reichtum. Er muss gemieden und neutralisiert werden.“ (ebd. S. 11) führt er seinen ansonsten gut nachvollziehbaren Versuch, die Genese zu erklären, in eine krude ideologische Sackgasse, die Muster von Verschwörungstheorien aufweist.
Literatur:
Burger, Rainer (2014): Kurden in Deutschland: Parallele Welten. Frankfurt am Main. Online verfügbar unter https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/mhallamiye-kurden-in-deutschland-parallele-welten-12905242.html?printPagedArticle=true#atc-ImageDescription, zuletzt aktualisiert am 22.04.2014, zuletzt geprüft am 18.08.2020.
Ghadban, Ralph (2016): Die Clan Kriminalität. LKA Niedersachsen, Clankriminalität 4. landesweite Fachtagung am 1./2.11.2016 in Hannover. Online verfügbar unter http://www.ghadban.de/de/?page_id=7, zuletzt geprüft am 18.08.2020.
Mladenova, Radmila (2019): Patterns of Symbolic Violence. The motif of "gypsy" child-theft across visual media. 1. Auflage. Heidelberg: Heidelberg University Publishing (Antiziganismusforschung interdisziplinär, 1).
WELT
(2020): Knorr benennt Zigeunersauce um. Hg. v. Stefan Aust. Redaktion WELT. Berlin. Online verfügbar unter https://www.welt.de/vermischtes/article213645146/Rassismusdebatte-Knorr-benennt-Zigeunersauce-um.html, zuletzt aktualisiert am 16.08.2020, zuletzt geprüft am 19.08.2020.
DOMRADIO KÖLN
07.01.2023 Pater blickt kritisch auf Debatte zu Silvester-Attacken
"Das ganze laute Geplärre ist wenig hilfreich"
In vielen Städten kam es in der Silvesternacht zu Attacken auf Rettungs- und Einsatzkräfte. Im Nachgang wird auf die Täter geschaut, die sowohl deutscher wie ausländischer Herkunft waren. Für Pater Oliver Potschien greift das zu kurz.
DOMRADIO.DE: Wie ist die Silvesternacht bei Ihnen in Duisburg-Marxloh verlaufen?
Pater Oliver Potschien (Leiter des Petershofes, einem sozial-pastoralen Zentrum in Duisburg-Marxloh): Mit Glockenläuten um Mitternacht und es war viel los. So viel, wie ich das in den ganzen letzten Jahren nicht erlebt habe. Hier war richtig was los auf der Straße.
DOMRADIO.DE: Wie ordnen Sie die Debatte um die Über- und Angriffe ein, die sich vor allem auf Menschen mit Migrationshintergrund konzentriert?
Pater Oliver: Erst mal muss Ruhe in die Diskussion kommen. Das ganze laute Geplärre ist wenig hilfreich. Grundsätzlich ist das, was wir in dieser Silvesternacht erlebt haben, kein neues Phänomen. Es ist in jedem Fall auch keine exklusive Handlung von sogenannten Migranten oder Jugendlichen mit Migrationshintergrund.
An fast jedem Wochenende sehen wir Ausschreitungen bei Fußballspielen mit Übergriffen gegen Schiedsrichter. Es gibt Terrorakte von Links- und Rechtsextremen. Und nicht vergessen dürfen wir die Reichsbürgerszene, die den Staat als solchen ablehnt.
Wir sehen daran, dass es an vielen Stellen Schwierigkeiten im Verhältnis von Menschen zum Staat und seinen Vertretern gibt. Das ist keine exklusive Sache von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Das möchte ich verneinen.
DOMRADIO.DE: Aus der Politik und voran aus der CDU gibt es Stimmen, die von einer gescheiterten Integrationspolitik sprechen. Würden Sie das unterschreiben?
Pater Oliver: Das ist keine Frage der Integration, gescheitert oder nicht. Das ist die Frage, wie wir mit Jugendlichen umgehen und was wir mit Jugendlichen machen. Wenn der Oberbürgermeister und andere Lokalpolitiker, die jetzt wieder nach Recht und Ordnung schreien, vorher jahrzehntelang die Förderung im Jugendbereich zusammengestrichen haben, dann ist das in der aktuellen Diskussion auch ein Punkt, der eher kontraproduktiv gewirkt hat.
Wenn sie Kinder fragen, was sie später einmal werden wollen, dann hören sie von Polizistinnen und Polizisten, von Feuerwehrleuten. Das ist hier bei den Kindern in Marxloh genauso wie im Rest des Landes.
Später entsteht aber ein Missverhältnis zwischen den Menschen, die tatsächlich in diesen Einrichtungen arbeiten und den Kindern, deren Berufswunsch es war, bei der Polizei oder der Feuerwehr zu arbeiten. Zumindest erlebe ich das hier in Marxloh. Als Kinder ist das Interesse trotzdem noch da.
DOMRADIO.DE: Was wäre aus Ihrer Sicht die richtige Konsequenz auf die Vorgänge in der Silvesternacht?
Pater Oliver: Wir erleben im Moment eine Art Erosion des Etablierten. Wenn ich heute Jugendlicher wäre, dann wüsste ich auch nicht, wo ich hier an den Staat und das Gemeinwesen andocken sollte.
Wir müssen für die Kinder und Jugendlichem die Türen aufmachen. Wir müssen Begegnungsräume schaffen. Gerade dort, wo die Elternhäuser dies nicht mehr so leisten, wie ich das noch aus meiner Kindheit kenne. Da müssen wir fördern und auch fordern.
Ein Beispiel: Hier in Marxloh haben wir mehrere Hundert Kinder, die nicht beschult werden. Das sind Probleme, die wir heute lösen müssen, sonst werden es morgen größere Probleme.
DOMRADIO.DE: Was konkret stellen Sie sich da vor?
Pater Oliver: Wir als Gesellschaft müssen unsere Türen aufmachen. Ein Projekt, was wir dafür hier in Marxloh haben, richtet sich an Jugendliche mit libanesischem Migrationshintergrund. Wir vermitteln denen eine Ausbildung im Rettungsdienst. Die Ersten fahren schon im Rettungsdienst mit und wir bilden Weitere aus.
Ein anderer Vorschlag wäre eine Förderung von Jugendfeuerwehren. Wir müssen in die Jugendlichen und in Angebote für sie rein investieren, damit Jugendliche, auch die mit Migrationshintergrund, gut in der Gesellschaft andocken können. Nur dann können sie ihren eigenen Weg im Leben gehen.
Dafür müssen wir produktive Vorbilder für die Jugendlichen schaffen. Das sind die Lösungen. Zumindest sind das bessere Lösungen, als irgendwo Überwachungskameras aufzuhängen.
Das Interview führte Verena Tröster.